Wir müssen leider immer wieder feststellen, dass viele Menschen einen Hund zu sich holen, ohne sich über den Umfang ihres Erziehungsauftrags bewusst zu sein. Oder sie nehmen diese Verantwortung dem Hund, aber auch der Gesellschaft gegenüber, schlichtweg nicht ernst. Der vierbeinige „Kumpel“ soll es gut haben, soll glücklich sein. Der oder die „Kleine“ soll sorgenfrei und (im wahrsten Sinne des Wortes) grenzenlos groß werden, er oder sie soll möglichst zu jedem anderen Hund Kontakt haben, frei rumrennen und einfach immer Spaß haben dürfen.
Natürlich ist es nur eine Minderheit, die eine so absurde und weltfremde Sichtweise hat. Aber wenige rücksichts- und verantwortungslose Hundehalter machen es uns allen schwer. So wird auch unser eigener Spaziergang zeitweise zu einem regelrechten Spießroutenlauf!
Hat man eine läufige Hündin bei sich, oder einen Hund, der keinen Wert auf fremde Artgenossen legt, oder möchte man mit seinem Hund gerade einfach nur etwas üben, stößt man bei manch anderen Hundehaltern auf Unverständnis. Das eigene (Trainings-)Vorhaben wird torpediert, weil man „keine Ahnung“ hat und sich nicht „so anstellen“ soll. Schließlich wird man wüst beschimpft, wenn der eigene (angeleinte) Hund seinem freilaufenden Artgenossen mitgeteilt hat, dass ein Kontakt gerade nicht erwünscht ist.
Sozialverhalten unter Hunden wird nicht im flüchtigen (!) Kontakt zu fremden Hunden gelernt! Wie würde der „Der-will-nur-spielen-Hundehalter“ wohl reagieren, wenn wir ihm in der Fußgängerzone entgegenlaufen, ihn ungefragt vollquasseln und ihn anfassen?
Seit geraumer Zeit stellen wir – wie bundesweit viele andere Hundeschulen auch – eine Zunahme von verhaltensauffälligen Hunden fest. Gründe dafür gibt es aus unserer Sicht viele:
In Deutschland leben fast 10 Millionen Hunde. Die allermeisten unserer Hunde leben heute – glücklicherweise – nicht mehr im Zwinger, sondern unmittelbar mit uns zusammen. Durch diese immer enger gewordene soziale Verbundenheit entstehen allerdings auch mehr Reibungspunkte zwischen Hund und Halter.
Hinzu kommt, dass oftmals nicht unterschieden wird zwischen Konditionierung und (sozialer) Erziehung. Im Rahmen einer Konditionierung folgt der Hund einem sog. Reiz-Reaktionsmuster und lernt z.B., sich hinzusetzen, wenn man „Sitz“ sagt. Viele Halter belassen es bei diesen Konditionierungsmaßnahmen und übersehen, dass sie es mit einem sozial hochintelligenten Lebewesen zu tun haben.
Soziale Erziehung soll auf ein Leben in der Gemeinschaft vorbereiten, wozu u.a. Respekt und Rücksichtnahme gegenüber Anderen (Mensch oder Tier) zählt. Naturgemäß stoßen dabei bei Hund und Halter unterschiedliche Interessen aufeinander: Der Hund würde beispielsweise gerne den Rehen hinterherjagen, der Halter muss dies unterbinden.
Es liegt in unserer Verantwortung als Hundehalter, dass wir uns mit unseren Hunden über dieses und viele weitere erzieherische Themen konstruktiv auseinandersetzen – frei von Wut oder ähnlichen Emotionen. Es ist nicht nur tierschutzwidrig, sondern schlicht unfair, ein uns anvertrautes Lebewesen zu treten, zu schlagen oder ihm sonstwie Schmerzen zuzufügen. Es ist aber auch tierschutzrelevant, einem Hund keine erzieherische Orientierung zu geben und ihn damit in seiner sozialen Entwicklung einzuschränken.
Viele Menschen verstehen das Verhalten ihrer Hunde nicht und interpretieren die körpersprachlichen Signale des Vierbeiners teils völlig falsch. Ein mit der Rute wedelnder Hund ist zum Beispiel nicht generell freundlich gestimmt.
Die konstruktive Aggression bei Streitigkeiten zwischen zwei Hunden ist häufig ein Tabu und wird verhindert. Und das gilt leider auch für manche Hundeschulen, die innerartliche Aggression strikt unterbinden, indem der Freilauf der Hunde auf dem umzäunten Hundeschulgelände schon nicht gestattet wird. Konstruktives Aggressionsverhalten ist aber ein wichtiger Bestandteil sozialer Kompetenz! Sie muss “geübt” und erlebt werden, um sie adäquat anwenden zu können. Wird dieser Lernprozess von vornherein „verboten“, verfügen die betreffenden Hunde künftig nur über eingeschränkte kommunikative Möglichkeiten.
Viele Halter haben Sorge, dass ihr Hund sein Vertrauen oder gar seine „Liebe“ in sie verliert, wenn sie ihm Grenzen setzen. Reglementierende Handlungen werden nicht nur vermieden und tabuisiert, sondern in der öffentlichen Diskussion mit Gewalt gleichgesetzt.
Dabei sind konstruktive Auseinandersetzungen zwischen zwei Beziehungspartnern für die Beziehungsqualität elementar wichtig! Wir Menschen streiten untereinander auch, ohne uns gleich zu schlagen. Nur so geht Beziehung! Viele Hunde zeigen sich als Ergebnis dieser erzieherischen Versäumnisse ihren Haltern und anderen Menschen gegenüber respektlos und sind nicht abrufbar.
Hunde sollten am Tag zwischen 16 und 18 Stunden Ruhe haben. Uns begegnen heute viele problematische Hunde, die offensichtlich überfordert sind. Innere Unruhe, Hektik und Nervosität sind deutliche Zeichen fehlender Ruhe- und Erholungsphasen. Wir weisen gebetsmühlenartig auf diesen Umstand hin, insbesondere bei Haltern, die ihren Hund mit einer Fülle an Aktivitäten „auslasten“ (wollen). Diese Vierbeiner lernen nie, Langweile zu ertragen und sind gleich über alle Maßen gefrustet, wenn mal kein Beschäftigungsprogramm abgespult wird. Nichts tun ist nicht gut und zu viel tun ist auch nicht gut!
Genauso, wie wir uns manchmal zwingen müssen, einen Gang runterzuschalten, müssen wir u.U. auch unsere „überdrehten“ Vierbeinern verpflichten, zur Ruhe zu kommen.
Wir sind der festen Überzeugung, dass uns immer mehr Verbote und ein genereller Leinenzwang nicht weiterbringen werden. Vielmehr sollten wir die wenigen uneinsichtigen Hundehalter stärker in die Pflicht nehmen. Natürlich steht damit immer gleich die Frage im Raum, wie dies erfolgen soll. Ein Lösungsansatz wäre, im Vorfeld Veränderungen herbeizuführen:
Die Überarbeitung der Inhalte der praktischen Sachkundeprüfung nach dem niedersächsischen Landeshundegesetz halten wir für dringend geboten. Die bisherigen Anforderungen stellen aus unserer Sicht nur das absolute Minimum dar. Und lediglich konditionierte Lerninhalte stehen im Vordergrund der Prüfung. Außerdem kann die Prüfung mit einem fremden Hund (also nicht zwangsläufig mit dem eigenen Hund) abgelegt werden…
Wir sind froh, mit unseren Kunden auf einem eigenen (umzäunten) Gelände trainieren zu können. Hunde lernen aber ortsverknüpft und verbinden das Gelernte eben auch mit dem Ort, an dem geübt wurde. Das im eigenen Garten oder auf einem Hundeplatz Gelernte muss in weiteren Trainingseinheiten an anderen Orten gefestigt und generalisiert werden. Wir sind in der glücklichen Lage, dies legal in einem Waldstück tun zu dürfen und können so (zumindest ein wenig) realitätsnäher anleiten. Diese Möglichkeit sollte aber kein Einzelfall bleiben.
Viele Hundehalter führen ihren Hund rücksichtsvoll und vorausschauend und können ihn auch ihm Freilauf kontrollieren. Vielleicht ist für diese Halter ein besonderer „Führerschein“ denkbar, der es ihnen erlaubt, ihren Hund (außerhalb der Brut- und Setzzeit) „offiziell bestätigt“ frei laufen zu lassen. Dies würde möglicherweise weitere Hundehalter motivieren, ihren erzieherischen Auftrag ernster zu nehmen – zum Wohle der Hunde und des Wildes.