Viele Hundebesitzer sind davon überzeugt, ihren Hund beschäftigen und auslasten zu müssen. Gerade Gebrauchshunderassen wie Border Collie, Malinois & Co. sollen … ach was, müssen angeblich von morgens bis abends ausgelastet und gefordert werden. Möglichkeiten dazu gibt es neben diversen Erziehungsangeboten reichlich: Agility, Obedience, Apportieren, Dog-Dancing, Mantrailing, Nasenarbeit, Longieren, Flyball, Crossdogging, …
Als Ergebnis des Beschäftigungsprogramms wird erwartet, dass der Hund uns dann glücklich, zufrieden und gelassen durch den Alltag begleitet. Tiefenentspannt soll er brav neben uns durch die überfüllte Fußgängerzone laufen, als überzeugter Pazifist den knurrenden Artgenossen ignorieren und ganz grundsätzlich mit stählernen Nerven auf jegliche Herausforderung reagieren.
Erschreckend häufig treffen wir in Gesprächen mit anderen Hundebesitzern auf die Annahme, dass die Fähigkeit, den Hund „auszupowern“ einen guten Hundehalter ausmacht. Und uns begegnen in unserer Hundeschule immer mehr Hunde, die eine geringe Frustrationstoleranz aufweisen, die wenig stressresistent und nervös sind und die sich gereizt und aggressiv verhalten. Viele dieser alles andere als ausgeglichenen Vierbeiner sind oft ausgerechnet diejenigen, bei denen in bester Absicht versucht wurde, alles richtig zu machen.
Kann man also auch zu viel machen?
Die einfache Antwort lautet: JA. Oft handeln wir an den echten Bedürfnissen unserer Hunde vorbei! Man ist kein schlechter Hundehalter, wenn man seinen Hund nicht regelmäßig an den Rand der Erschöpfung bringt, im Gegenteil! Wir müssen unsere Vorstellungen von dem, was unsere Hunde wollen bzw. brauchen, dringend überdenken.
Im Rahmen von Beobachtungen von Straßenhunden (nachzulesen beispielsweise bei Günther Blochs „Die Pizza-Hunde“) konnte man feststellen, dass diese Hunde während des Tages gar nicht besonders viel unternehmen. Sie kontrollieren ihr Revier nicht im Laufschritt, sondern eher gemächlich und schnüffelnd. Bei ausreichender Nahrung wird natürlich auch mal gespielt, je jünger die Tiere, desto eher. Aber die meiste Zeit des Tages – und damit sind bis zu 18 Stunden (!) gemeint – ruhen und schlafen die Hunde!
Das sollte also für den Alltag unserer Hunde bedeuten:
- Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe! Bestenfalls 16 bis 18 Stunden täglich.
- Ein aus hundlicher Sicht sinnvoller Spaziergang bemisst sich nicht nach der Länge, sondern nach der Möglichkeit, die Umgebung mit der Nase ausgiebig zu erkunden.
- Die Erziehung eines Hundes sollte kein notwendiges Übel darstellen. Vielmehr soll sie beiden Beteiligten, Hund und Mensch, Spaß machen. Ganz ohne Kasernenton und militärischem Formalismus. Der für ein soziales Lebewesen wichtigste Aspekt ist der, dabei sein zu dürfen. Die Möglichkeit, unsere Hunde (wohin auch immer) mitnehmen zu können, schafft man durch eine auf sozialer Basis beruhenden Erziehung. Und im Rahmen dieser erzieherischen Übungen beschäftigen (!) wir uns mit unseren Hunden.
Darüberhinausgehende Aktivitäten dürfen natürlich sein. Aber überbeschäftigen Sie Ihren Hund nicht! Die Hunde brauchen nicht so viel Action, wie wir glauben oder auch glauben gemacht werden. Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, was zum Beispiel ein Border Collie im winterlichen England macht, wenn die Schafe im Stall stehen? Als typischer Saisonarbeiter ist er in dieser Zeit arbeitslos. Damit wir uns also nicht missverstehen: Gehen Sie mit Ihrem Hund spazieren, wandern, laufen, schwimmen, oder was auch immer Ihnen und Ihrem Hund Spaß macht. Aber denken Sie ab und zu darüber nach, ob Ihre oder eine Ihnen eingeredete Erwartungshaltung Ihren Hund überfordern könnte. „Verrückt“ und „hibbelig“ werden Hunde, wenn sie zu wenig Ruhe und Schlaf bekommen („Nach müde kommt doof!“) und zu früh zu bestimmten Tätigkeiten angefixt bzw. angeheizt werden, oder zu nicht artgerechter Hyperaktivität verleitet werden! Ein gemeinsames Hobby, wie z.B. Dummytraining oder Mantrailing, macht mit einem ausgeglichenen, gut erzogenen Hund einfach mehr Spaß! Wer aber nicht mit Langeweile umgehen kann, braucht kein Hobby!